«Ich bin ein bekennender Flüchtling»

Interview: Andreas Altmann
Hat eine bewegte Vergangenheit: Andreas Altmann.
Bildquelle: 
www.andreas-altmann.com

Der deutsche Autor und Reisereporter Andreas Altmann ist zum Saisonabschluss des «Züri Littéraire» zu Gast bei Mona Vetsch und Röbi Koller im Kaufleuten. Das Thema: getrieben und masslos. Andreas Altmann, der Mann mit dem bewegten Leben, gab uns im Vorfeld ein Interview.

 

Sie sind viel gereist. Waren Ihre Reisen auch eine Art Flucht? Oder anders gefragt, haben Sie dabei etwas Bestimmtes gesucht und vielleicht auch gefunden?

Flucht? Na klar, ich bin ein bekennender Flüchtling. Vor dem Rand des ganz normalen Lebens. Gesucht? Sicher, den thrill, die Aufregung, den schnellen Herzschlag. Gefunden? Gewiss, aber man kann es nicht behalten, ich muss immer wieder losrennen, um es zu haben.

 

Welcher Ort hat Sie am meisten überrascht?

So funktioniere ich nicht, ich weiss von keinem Ranking. Es gibt unheimlich viele Orte, die mich überraschen. Und, sicherlich, die vielen todfaden Orte, die gibt es auch.

 

Sie wohnen in Paris. Würden Sie diese Stadt als Ihre Heimat bezeichnen? Was bedeutet Heimat für Sie?

Ja, Paris ist meine Heimat. Was das ist? Eine Stadt, zu der ich immer wieder zurückwill. Wo Geist umgeht, Internationalität, der Swing, Schönheit, das Verwirrende.

 

Haben Sie Ihren Eltern für das Leid, das sie Ihnen in Ihrer Jugend zugefügt haben, verziehen?

Haha, wie soll das gehen? Meinem Vater und den anderen Halunken, den «Erziehungsberechtigten», die jahrelang und jahrelang ungestraft meinen Leib und meine Seele prügelten? Mit Nachsicht ihrer gedenken? Dass ich nicht lache. Unheimlich wahr: Die Weigerung, einem Kind Respekt und Wärme entgegenzubringen, wird kein Kind vergessen. Und nie verzeihen. Auch nicht ein halbes Jahrhundert später.

 

Sie wurden streng katholisch erzogen. Wie stehen Sie heute zur Kirche und zum Glauben?

Man sollte die Kirche vor den internationalen Gerichtshof stellen: für die Schandtaten und Verbrechen, die sie über die Menschheit gebracht hat. Sie hat Millionen von Erschlagenen auf dem Gewissen, die sich weigerten, den schwachsinnigen Hokuspokus ihres «allein seligmachenden Glaubens» nachzuleiern. Und dass Hundertausende von Kindern – nur im letzten halben Jahrhundert – von römisch-katholischen Pfaffen missbraucht wurden, ist ein Skandal ohne Namen.

 

Sie waren ein durchschnittlicher Schüler. Einer Ihrer Aufsätze wurde in einer Deutschlektion gar als schlechtes Beispiel vorgelesen. Wie haben Sie es geschafft, so ein überdurchschnittlicher Journalist und Autor zu werden?

Durchschnittlich? Von wegen, ich war allerletztes Fünftel. Wie ich es geschafft habe, ein passabler Reporter (ich bin KEIN Journalist) und Schreiber zu werden? Weiss der Teufel, sagen wir: Glück und der unbedingte Wille, nicht als Null mein Leben verbringen zu wollen

 

In Ihren Büchern schreiben Sie über die intimsten Details Ihres Lebens. Wie viel Überwindung braucht es, so ein Buch dann auch wirklich zu veröffentlichen?

Überhaupt keine. Die einzige Frage war nur: wie ich es schreibe. Primitiv, proletenhaft, anbiedernd? Oder elegant, mit Swing, eben so, dass der Leser mit Hilfe der Sprache den Inhalt annehmen, sich annähern kann. Denn ich schreibe über Zustände, die so viele von uns betreffen.

 

Über sein eigenes Leben schreiben, sich selbst zum Protagonisten machen – muss man da ein Stück weit Narzist sein?

Na klar, jeder, der sich veröffentlicht, muss von dem Wahn ergriffen sein, etwas zu sagen zu haben. Nur die Scheinheiligen wissen das noch nicht.

 

Wieso haben Sie sich entschieden, mit «Dies beschissen schöne Leben - Geschichten eines Davongekommenen» quasi eine Fortsetzung zu «Das Scheissleben meines Vaters, das Scheissleben meiner Mutter und meine eigene Scheissjugend» zu schreiben?

Nein, das ist keine Fortsetzung. Aber es sind Stories, die alle nach meiner Flucht entstanden sind. Denn immer betrachte ich mich als einen, der Glück hatte und – davonkam.

 

Sie sind am 8. April zu Gast am «Züri Littéraire». Das Thema lautet «getrieben und masslos». In wie fern können Sie sich mit diesen beiden Begriffen identifizieren?

Gewiss mit «getrieben». Ich glaube, das habe ich aus meiner Kindheit geerbt. Und nur dem Getriebensein verdanke ich, dass ich nicht in der Gosse landete. Masslos? Bin ich sicher nicht. Es gibt viele Bereiche in meinem Leben, in denen ich durchaus bescheiden bin. Immer masslos? Was für ein gräuliches Leben wäre das.

 

Was ist für Sie der Anreiz, an einer Veranstaltung wie dem «Züri Littéraire» teilzunehmen?

Neugier, Geld, Eitelkeit, die Freude an intelligenter Auseinandersetzung, die schönen Schweizerinnen.

 

Wieso beantworten Sie Interviews lieber schriftlich als mündlich?

Weil ich dann Zeit habe, vorher zu denken, bevor ich eine Meinung äussere. Zudem ersparen sich die beiden - Frager und Antworter - jede Art von Zwist. Alles ist «beweisbar», da steht es, das hat der Mensch gesagt. Zuletzt: Zu oft wurde mir das Wort verdreht, zu oft habe ich Sachen lesen müssen, für deren Dämlichkeit ich nicht verantwortlich sein wollte. 

 

Hier gehts zur Vorschau zum «Züri Littéraire».

 

Regina Schneeberger / Mo, 25. Mär 2013